Bisher bin ich von einem zentralen Getriebe ausgegangen um das
Unwucht-Rad/Unwucht-Kreuz mit dem Rad zu verbinden und auf einer Seite zu halten.
Die Erkenntnis, dass die 117 Zapfungen am Umfang des Merseburg-Rades auch
als Zahnkranz gesehen werden können, führte zu einer viel einfacheren
Lösung: Ein etwas kleineres Zahnrad greift in diesen Zahnkranz ein und
seine Welle muss dazu durch eine Kurbel leicht versetzt sein zur Zentralwelle.
In dieser Kurbel ist auch noch eine Ratsche verbaut. Befindet sich dieses
Zahnrad dann auf einer Seite und wird losgelassen, so dreht es sich
gekoppelt mit dem Rad nach unten. Bevor es den unteren Totpunkt erreicht
muss es dann „nur” im Freilauf wieder hochgedreht werden
um die Unwucht aufrecht zu erhalten.
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Diese Anordnung im Verhältnis 7/6 (84/72 Zähne) ist in zweierlei
Hinsicht interessant. Zum einen wird zum Heben des inneren Zahnrads ein
Gebilde benutzt, das dem sog. Motus sehr ähnlich sieht und dann ist
da noch eine Übersetzung von 3 zu 4 enthalten. Um die Gif-Datei
klein zu halten wurde nur eine Vierteldrehung des Rades gezeigt. Dabei
tritt der Motus einmal mit einer Drittel-Drehung in Aktion.
Wenn sich das Rad dreht, treibt sich der Mechanismus selbst an.
Notwendig ist ein fester Punkt, eine Art Getriebegehäuse,
der waagrechte Balken in der Mitte. In der Animation ist er fixiert,
kann aber in der Simulation freigegeben werden und wird dann von zwei
Federn in Grenzen gehalten. Im Bessler-Rad übernahm wohl ein langer
Stabilisierungspendel diese Funktion.
Motus und Ratsche stellen praktisch einen sog.
„Genfer Mechanismus” dar, der erst viele Jahre nach Bessler
erfunden wurde.
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Irgendwie passt für mich hier der Vers Besslers auf Seite 96 im Buch
Poëtische Apologie:
„Wenn ich die Kunst entdeck' inwendig/
So mach' der - - euch gebändig/”
Meint er vielleicht die Aussparung (- -) im Motus-Rad, die zum Hochheben
der Unwucht notwendig ist?
(Eine Interpretation, die Timo G., alias Timomathiks als erster ins Spiel brachte).
Immerhin ist das Motus-Rad gleich unter diesem Vers abgebildet.
Leider ist dieser Mechanismus wieder nur ein Teil des Rades, der
genannte Stabilisierungspendel macht nämlich die Unwucht zunichte.
Man muss drei Systeme geschickt zusammenfügen um ein
selbstlaufendes Rad zu erhalten.
In der Apologischen Poësie auf Seite 89 schrieb Bessler:
„Ein Ding besteh't auß den drey Reichen/
Ihr habet hand=greiffliche Zeichen/”
Richtig kombiniert sollten die drei Systeme sich gegenseitig
anregen und eine gemeinsame, übergreifende Schwingung aufbauen.
Deshalb sind die drei Systeme meiner Meinung nach:
1. das obige Getriebe zum Anheben des Unwucht-Rades
2. die Anordnung Fluggewichte auf diesem Unwucht-Rad und
3. das Stampfwerk als Takt- und Impulsgeber
Das erste System braucht den Stabilisierungspendel. Dieser hebt aber
die Unwucht wieder auf. Das zweite System zentral angeordnet ist
für sich auch nicht selbstlaufend. Beide zusammen, mit dem richtigen
Versatz, tauschen mit Hilfe des Stampfwerks Energien und Impulse aus
und bauen so ein gemeinsames, ineinander greifendes Schwingen auf.
Hier noch die Algodoo-Datei zum
download.
(Bitte beachten: Die Datei zuerst ins download-Verzeichnis herunterladen
und dann manuell ins scene-Verzeichnis von Algodoo kopieren.
Sonst könnte es zum Verlust anderer Algodoo-Dateien kommen).
Die Simulation ist auf 5 U/min eingestellt.
Kann man sich vorstellen, dass ein Holzrad diesen Bewegungsablauf auch
mit 50 U/min längere Zeit durchstehen kann?
Bessler war wirklich gut!
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