Vom ersten Rad Besslers, das er am 6. Juni 1712 in Gera öffentlich präsentierte,
ist wenig bekannt, nur der Durchmesser von etwa 5 Fuß (DT 107).
Etwas mehr ist vom zweiten Rad von Draschwitz überliefert.
Nach Aussage von Bessler war dieses wie das erste aufgebaut (DT 18), nur größer,
5 Ellen, also doppelt so groß im Durchmesser.
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Hier im Bild ist also das erste Rad mit ca. 150 cm Durchmesser dargestellt.
Dazu der Bericht von Gottfried Teuber (1656 - 1731), Zeitzer Hofdiakon und
Magister, der darin das zweite Rad Besslers, das Draschwitz-Rad von 1714
beschrieben hat:
„Es handelt sich um ein hohles Holzrad, 10 Fuß im Durchmesser und
6 Zoll dick. Es wird von dünnen Holzbrettern bedeckt, die den Mechanismus
verbergen. Die Achse ist auch aus Holz und ragt auf beiden Seiten einen Fuß
über das Rad hinaus. Sie hat Zähne, die 3 Stampfhölzer bewegen,
ähnlich wie man sie in Stampfmühlen findet. Diese Stampfhölzer
sind recht schwer, und sie werden unablässig angehoben und wieder fallen
gelassen. Die eisernen Achszapfen drehen sich in offenen Lagern, so dass man
einen Betrug durch äußere Energiezuführung ausschließen
kann.
Ich hatte mit dem Erfinder ein Treffen vereinbart. Als wir uns der Maschine
näherten, konnte ich sehen, dass das Rad mit einem dicken Seil arretiert war.
Sobald das Seil gelöst wurde, begann sich die Maschine mit großer
Kraft zu drehen. Für längere Zeit hat sie ihr Tempo weder beschleunigt
noch verlangsamt. Um sie wieder anzuhalten, war große Kraft erforderlich.”
Das Bild hat ein Raster von 10 cm.
Die Dicke des Rades beträgt ca. 16 cm,
die Achse hat ca. 20 cm Durchmesser und
die Stampfhölzer sind jeweils ca. 5 cm breit.
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Das Äussere des Rades ist somit festgelegt, jetzt geht es an die „Eingeweide”,
wie Bessler es auf den ersten Seiten seiner Apologischen Poësie nennt:
„Sein Eingeweyd’ gewinnt Gewicht/
Sonst keine Uberwucht geschicht/”
Hier müssen bekannte und neue Prinzipien geschickt miteinander verbunden werden.
1) Die Unwuchterzeugung mit dem Scheren-Mechanismus ähnlich der früheren Seite
„Wenn ein Pfund ..”;
2) die Anregung durch „fliehkraftfreie” Gewichte in der Achse,
die gemäß MT34, MT69 (und auch MT40)
für eine geeignete Vorspannung sorgen;
3) die an der richtigen Stelle eingebrachten Stampfer-Impulse,
die die Ein- und Ausschwingvorgänge auslösen
und sicher zum Abschluss bringen;
und 4) die MT18-Federn bei den ausschwingenden Fluggewichten.
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Um die Mechanik im Inneren der Achse zu verstehen schauen wir uns zunächst
MT69 nochmal an. Für mich sind hier 3 Aspekte interessant: Zuerst die Hebel,
die in der Achse liegen, mit Gewichten an den Enden. Dann die Darstellung wie die
kleinen Auslenkungen der Hebel D im Rad eine Unwucht erzeugen und zum Dritten die
Schreibweise der Zahl 69.
Die Hebel D im Rad machen eigentlich wenig Sinn, wenn man die Fliehkraft
berücksichtigt, ihre Reaktion zur Unwuchtverschiebung käme einfach zu spät.
Geht man aber davon aus, dass die Hebel D identisch sind mit den Hebeln E,
die fliehkraftfrei in der Achse liegen, dann ist auf einmal alles klar.
Die Gewichte an den Enden der Hebel E sind so schwer, dass sie die Unwucht
erzeugen können. Und ein Startimpuls, etwa an der Stelle wo das „E” steht,
könnte die Bewegung zur richtigen Zeit auslösen (Stichwort Nockenwelle).
(Bessler macht das sehr gerne, dass er die nicht sichtbare 3. Dimension
durch eine 90 Grad-Drehung in die 2-dimensionale Darstellung bringt.)
Jetzt wird auch klar wie MT40 zu interpretieren ist. MT40 zeigt nämlich
die Anbindung des Scheren-Mechanismus an die Hebel in der Achse.
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Wie bei MT69 sollte man sich die Hebel A in der Achse liegend vorstellen.
Die Schere hat ihren Fixpunkt am Rad in C. Wird im oberen Bildteil
das Scherenglied vom Hebel A nach unten gezogen, so wird das Gewicht D
von den oberen Scheren-gliedern nach oben bewegt.
Sehr interessant sind noch die zwei kleinen Rechtecke auf der waagerechten
Speiche des Rades. Die naheliegende Interpretation ist natürlich,
dass hier ein zweites System um 90 Grad versetzt arbeitet, dann würde
das Rad sich im Gegenuhrzeigersinn drehen - auch interessant.
Ich sehe im rechten Rechteck aber einen ganz kleinen Hinweis auf den
Angriffspunkt eines Stampfers. Und damit kommen wir zum nächsten Bild,
der technischen Umsetzung in einem Rad mit drei Stampfern.
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Und da fangen die Darstellungsprobleme an:
Im Vergleich zum eigentlichen Rad sind die Dimensionen der Mechanik in der
Achse winzig. Deshalb auch das Herausvergrößern in den folgenden
Bildern. Auch die Übersetzungen der Kräfte sind beeindruckend.
Für mich ist Bessler „der Mann der irren Übersetzungen”.
Und vielleicht ist gerade das sein Geheimnis.
Hier endlich die Gesamtschau:
Jeder Stampfer bedient eine Zapfenmechanik, also zwei Zapfen für zwei Scheren.
Die Kunst Besslers war es,
das alles in der Achse unterzubringen. Er konnte ja den Durchmesser nicht
einfach vergrößern, da sonst zuviel Energie zum Heben der Stampfer
notwendig geworden wäre.
In der Achse liegen 6 Hebel E (nach MT69), zwei rote (gerade aktiv) und vier blaue.
In den verbleibenden Lücken muss die Mechanik der Zapfen Platz finden.
Wenn das Rad sich im Uhrzeigersinn dreht und der Stampfer den Zapfen noch unten hält,
wird der obere rote Punkt vom Hebel E um ca. 10 mm nach unten (=innen) gedrückt.
Zapfenmechanik vergrößert:
Anfang Stampferhebung
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Ende Stampferhebung
ca.60 Grad Raddrehung pro Eingriff
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Das Innenleben der Achse im Längsschnitt:
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Im Inneren der Achse sehen wir eine durch-gehende Welle mit den
Achszapfen an den Enden, die sich in den äusseren Lagern
drehen (bei Bessler nur offene Pfannen) und sechs stabile Hebel,
die die Stampferimpulse an die Scheren weiterleiten und am Ende
jeweils schwere Gewichte haben.
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Die Auslenkung von 10 mm beim Stampfer (z.B. gelber Pfeil 1) beträgt
am Ansatzpunkt der Schere (gelber Pfeil im Zentrum des Rades)
bereits mehr als 20 mm und der Scherenmechanismus macht daraus ca. 10 cm.
Das reicht aus zum Ein- und Ausschwingen der Fluggewichte (nach MT138).
Damit die beiden Hebel E parallel nach unten gehen,
gibt es eine Kopplung der beiden (gelbe Verbindung), sie befindet sich
bei den schweren Gewichten, den Vorspanngewichten.
Die Vorspanngewichte müssen so schwer sein, dass sie fast alleine
das Ein- und Ausschwingen der Fluggewichte durchführen
könnten. Sie spannen die Scheren gerade so viel vor, dass
sich noch nichts bewegt, aber dass es dann mit wenig Energie
sehr schnell gehen kann, wenn der Stampfer eingreift.
An den Pfeilen sieht man, wo die Stampfer eingreifen und wo die
Scheren ansetzen.
Wegen der geringen Dicke des Rades können
die Abstände bei den drei Systemen nicht exakt gleich sein.
Vielleicht ist das der Grund, dass das Rad nicht ganz rund
gelaufen ist (evtl. wie im Drei-Viertel-Takt).
Und jetzt verstehen wir auch den Vers Besslers in PA 29/30:
„Alsbalde du versichert bist/
Daß meine Welle nicht so ist/
Sondern/ sie hat vielmehr viel Fächer/
Ja durch und durch verschiedne Löcher.”
Die Welle war wohl nicht überall gleich dick und rund, sondern
im Inneren wohl dicker, hatte aber da und dort Aussparungen,
wo die Vorspanngewichte eintauchten und dort Löcher, wo die
sechs Seile und die Verbindungen der Vorspanngewichte durchgingen.
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Und jetzt noch kurz zur Zahl 69 in MT69 (siehe oben):
Wie schon früher beschrieben: 6 + 9 = 15 -
ein interessanter Aspekt.
Aber auch die Schreibweise ist irgendwie besonders.
Ich habe mal 6 und 9 vertauscht ---
und sehe da den inneren Zapfenmechanismus.
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Nachdem die einfachen Simulationsprogramme jetzt an ihre Grenzen kommen,
bleibt uns nur noch der Versuch, der Bau eines Prototypen.
Im Prinzip ist alles dargestellt und der Nachbau des Rades von
Gera kann beginnen.
Dazu noch ein paar Hilfestellungen:
- die Drehzahl des Rades sollte zwischen 40 und 50 U/min liegen
- das Gewicht eines Stampfers beträgt wohl zwischen 6 und 10 kg
- ein Fluggewicht könnte ca. 0,5 bis 1,0 kg wiegen
- die Feder am Fluggewicht (MT18) muss zur Drehzahl passen (Federkonstante/Zeitkonstante)
- Zweit-Fluggewichte könnten die Anlaufeigenschaft und die Kraft des Rades verbessern
(Zweit-Fluggewichte könnten zwischen den Haupt-Fluggewichten verbaut werden.
Sie sind kleiner und werden von den Haupt-Fluggewichten verzögert nachgezogen,
dadurch würde die Unwucht dann von 12 Massen erzeugt)
- zu guter Letzt sollte auch noch die Energie der fallenden Stampfer zurückgewonnen werden.
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